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MEIN FRÜHLING

Und ich sitze wieder einmal in meinem kleinen Garten, meinem grünen Stadtdschungel, einem Hortus Conclusus von gerade mal sechs mal vierzehn Meter Abmessung, ein Nest, geformt von allerlei Sträuchern und Bäumen. Von allen Seiten und von oben geschützt vor neugierigen Blicken ist da ein ganz eigener Raum entstanden: ein Paradiesgärtlein. Noch nie habe ich meinem Garten so viel Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet wie in diesen Zeiten des „Confinement“, der durch staatliches Dekret verordneten Stabilitas Loci, auf Luxemburgisch: „Bleift doheem!“.

Jetzt, wo der Sommer im Garten mit Rosen und Jasmin das Regiment übernimmt, sehe ich sie schon vor mir, die großen stolzen Sonnenblumen, wie sie ihre schweren Häupter der Sonne zuwenden, tourne sol. Und in meinen Beeten sollen bitte bis zum Herbst pralle Kürbisse wachsen. Mal sehen, was das gibt, ist der demütige Zauberspruch aller Gartenfreu(n)de, denn ich kann meinen Teil beitragen, aber was gelingt, liegt nicht nur in meiner Hand. Am 4. Mai kam mir morgens, unter der Glyzinie sitzend, eine Idee: Ich beschloss, für eine gewisse Zeit jeden Tag mit einem Haiku zu begrüßen und an jedem Tag bis auf Weiteres mindestens ein Haiku zu schreiben. Haiku, hinter diesem Namen verbirgt sich eine traditionelle japanische Gedichtform. Diese kürzesten Gedichte der Welt bestehen aus drei Wortgruppen von 5-7-5 Lauteinheiten, was in der Übersetzung aber nicht unbedingt eingehalten werden muss:

„Von den blühenden

Wasserlilien hinauf zu den Wolken

Ist nur ein kleiner Sprung.“

Das ist ein Haiku von Issa, einem der berühmtesten Dichter Japans. Seinem Hauptwerk „Mein Frühling“ (1818 -1819) habe ich auch den Titel für meine kleine Auswahl von Haikus entlehnt: „Mein Frühling. 22 Haikus aus dem Maiengarten“ In der europäischen Tradition gibt es nichts Vergleichbares zu den Haikus. Gerade deshalb ist es so verlockend, in einer anderen Sprache Haikus zu schreiben und sich in einem dem japanischen Geist der Unmittelbarkeit, der Konkretheit, des Augenblicks und der Reduktion zu widmen „Und so hängt denn in der Hokku-Dichtung alle Meisterschaft davon ab, dass es dem Dichter gelingt, mit den wenigen Worten, die ihm die siebzehn Silben des Dreizeilers zugestehen, jene Bilder und Gedankenverbindungen heraufzubeschwören, die durch ihre natürliche Fügung eine in sich geschlossene lyrische Stimmung von einheitlicher Bildkraft zu erzwingen vermögen. Je unvermittelter dabei die Dinge zu uns reden, umso mehr hat es der Dichter verstanden, ohne das Dazwischentreten des reflektierenden Verstandes den Dingen seine Worte zu leihen.“ (Haiku, Japanische Dreizeiler, Stuttgart 1995, S. 243)

Zur Erinnerung: Jede(r) kann Haikus schreiben, es ist ganz einfach, 5-7-5 und ein bisschen Hingabe an den Augenblick.

Hier einige Anregungen, eine Ausführliche Erklärung und mehre Haikus gibt es im PDF.

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