Emotionales Chaos und Kulturschock
In einer anderen Kultur zu leben, kann einen «kulturellen Schock» auslösen. In den ersten Monaten oder sogar den ersten Jahren nach der Ankunft kann es Höhen und Tiefen voller Emotionen geben. Wir fühlen uns geschwächt, machtlos und frustriert in einem Land, in dem nur wenige Menschen unsere Sprache sprechen und unsere eigene Kultur verstehen. Wir fühlen uns gefangen in unterschiedlichen Gefühlen: Verwirrung, Einsamkeit, Entbehrung, Sehnsucht, Gereiztheit und Enttäuschung …
Angst und Orientierungslosigkeit
Wenn man in einer bestimmten Kultur aufwächst, ist man an bestimmte Verhaltensweisen gewöhnt. Die Kultur eines Landes beeinflusst die eigene Denkweise und entscheidet über viele Aspekte des täglichen Lebens. Das zwischenmenschliche Zusammenleben hängt von der jeweiligen Kultur ab: wann reicht man jemandem die Hand, was sagt man bei einer Begegnung, soll eine Einladung angenommen oder ausgeschlagen werden, was ist zwischen den Zeilen zu verstehen …? All diese Zeichen, Sitten, Worte und Gesten erfolgen unbewusst und helfen, uns im Alltag zurecht zu finden.
In einer befremdlichen und fremden Umgebung fühlen wir uns verunsichert, weil die heimischen Gebräuche verschwunden sind. Es sind keine Wegweiser mehr vorhanden, wir stehen ratlos da, und wir wissen nicht mehr, wie wir uns verhalten sollen. So kann das Gefühl entstehen, von der Gesellschaft ausgeschlossen und unverstanden zu sein
Einsamkeit und Isolation
Trennung, Entwurzelung und Einsamkeit werden im neuen Lebensraum empfunden. Es fehlt auch das Zugehörigkeitsgefühl – wir gehören nicht mehr zu der Welt die wir verlassen haben und noch nicht zu der neuen. Angesichts dieser Schwierigkeiten können wir uns allein und hilflos fühlen oder unfähig, uns jemandem anzuvertrauen. Viele Menschen, die uns früher in einer solchen Situation Mut zusprachen, sind weit entfernt und Erfreuliches gibt es vielleicht in der neuen Umgebung nicht. Die Dinge, die wir im Heimatland mochten, die Familie und die Freunde fehlen. Weit entfernt von den Seinen zu sein, ist eine schmerzliche Erfahrung. Rückblickend auf das Vergangene kommen Bedauern, Trauer und Heimweh zum Vorschein.
Hoffnungen und Enttäuschungen
Sich im Gastland heimisch fühlen, ist besonders schwierig, wenn die dortigen Gegebenheiten nicht den Erwartungen entsprechen. Wir stoßen auf viele Hindernisse: der Zugang zu einer Ausbildung, zur Arbeitswelt oder die Wohnungssuche können sich als schwierig erweisen.
Es kann auch sein, dass wir nicht mehr die gleiche Anerkennung genießen wie im Heimatland, und wir gezwungen sind untergeordnete Arbeiten zu verrichten oder in einem ganz anderen Bereich zu arbeiten. Es kann auch vorkommen, dass wir keine Beschäftigung finden oder sehr schwere Arbeits-bedingungen in Kauf nehmen müssen. Wenn uns bewusst wird, dass wir an Grenzen stoßen und sich unser Lebensentwurf nicht so gestalten wird, wie wir ihn uns ausgemalt hatten, sind wir enttäuscht.
Diese neuen Lebensbedingungen können dazu führen, dass wir uns in die Gemeinschaft unserer Landsleute oder in unsere Familie zurückziehen, dass wir das Heimatland idealisieren und dorthin zurückkehren wollen. Wir stellen uns allerlei Fragen: war es die richtige Entscheidung, von zu Hause fort zu gehen, soll ich zurückziehen?… . Wenn wir merken, dass die gesteckten Ziele nicht erreicht werden, können wir das Gefühl haben gescheitert zu sein und wir verlieren unsere Selbstachtung.
Keine Wertschätzung und Ablehnung
Durch die Erschwernisse und erlebten Misserfolge im Gastland empfinden wir eventuell Ablehnung gegenüber dieser Gesellschaftsform. Das, was anfangs interessant erschien, schwächt nun das Selbstvertrauen. Die Gründe können an der Sprache, am Verhalten der Leute oder an einer anderen Weltanschauung liegen. Es ist nicht einfach, die Werte und Grundeinstellungen des Gastlandes zu übernehmen oder eine neue Sprache zu erlernen. Man kann aber auch die eigenen Werte in Frage stellen, die eigene Kultur abwertend beurteilen und somit sich selbst für wertlos halten.
Die Abweichung von dem vertrauten Verhalten birgt die Gefahr, dass wir uns unserer Andersartigkeit bewusst werden und eventuell Aspekte aus der neuen Kultur kritisch sehen oder sie sogar ablehnen. Oft ergeben sich dann Klischees und Vorurteile.
Unterstützung suchen
Frustration, Unstetigkeit, Depression oder Sehnsucht nach dem früheren Leben gehören zu den zahlreichen Gefühlen, die im fremden Land aufkommen können. Bedingt sind sie durch den Druck, den die Anpassung an die neue Gesellschaft mit sich bringt, und diesem Druck Stand zu halten, kostet enorm viel Kraft.
Es sind hauptsächlich die Probleme im Alltag, die uns Schwierigkeiten bereiten und für deren Bewältigung wir Unterstützung brauchen. Dies sind Sorgen wie: keine Arbeit zu finden, finanzielle Schwierigkeiten und die Angst vor einer ungewissen Zukunft, sich nicht integrieren zu können oder auch konfliktreiche Auseinandersetzungen zu erleben mit den Mitmenschen aus der eigenen Gruppe, in der Familie oder außerhalb … .
Sich schlecht fühlen kann Auswirkungen auf die Gesundheit haben und Schmerzen auslösen, wie Kopfschmerzen und Magenkrämpfe, oder man leidet unter Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit oder stressbedingter Müdigkeit.
Es ist völlig natürlich und verständlich, dass angesichts dieser Herausforderungen Schwierigkeiten auftreten. Alle diese Gefühle begleiten die Anpassung an die veränderten Lebensbedingungen. In einem solchen Fall kann jedoch, bevor der Leidensdruck zu hoch wird, eine Unterstützung und Begleitung hilfreich sein. Ein Gespräch mit einem Menschen, zu dem wir Vertrauen haben, kann Halt und Orientierung geben.
Und warum nicht auch mit SOS Détresse Kontakt aufnehmen…