Wer bin Ich und wer will Ich sein, mit Dir?
Menschen sind heute zunehmend verunsichert hinsichtlich der Frage, wer sie „sind“, wie sie sein und leben sollten.
Hinsichtlich vieler Entscheidungen bietet unsere Gesellschaft nicht mehr den Rahmen, der uns vorgibt was richtig und was falsch ist. Dies bedeutet zwar einerseits, dass wir viele Freiheiten und Möglichkeiten gewonnen haben. Auf der anderen Seite müssen wir sehr viel mehr Entscheidungen treffen. Das Bild, das wir von uns selbst haben – unsere Identität – kann durch neue Möglichkeiten und neue Anforderungen immer wieder infrage gestellt werden. Dadurch entstehen Selbstzweifel und Selbstunsicherheit. In Zeiten, in denen die Verunsicherung sehr groß ist, ist ein eindeutiges Bild von dem, wer wir sind, kaum noch greifbar. Menschen haben jedoch das Bedürfnis sich als einheitlich zu erleben und von anderen so erlebt zu werden.
In einer immer komplexer werdenden Umwelt ohne größere identitätsstiftende soziale Gemeinschaften kommt der Paarbeziehung daher heutzutage ein besonderer Wert zu.
Viel mehr als früher nimmt sie bei der Identitätskonstruktion des Einzelnen eine entscheidende Rolle ein. Hier kann die Verunsicherung ein Stück weit abgefangen und aufgelöst werden. Die Partnerschaft wird als der Ort gesehen, an dem man sich am ehesten in seiner Gesamtheit zeigen kann und darin bestätigt werden will.
Hier besteht die Hoffnung, so wie man ist, Geborgenheit, Loyalität und Anerkennung zu erfahren.
Paarkonflikte entstehen daher auch häufig, wenn diese Hoffnungen und Erwartungen enttäuscht werden, wenn der Wunsch nach einer bestimmten Art des Gesehenwerdens vom Partner nicht erfüllt werden kann
Orientierung durch den Partner
Vieles, was von der Gesellschaft früher an Orientierung für die Identitätsbildung des Einzelnen bereitgestellt wurde, wird heute in Paarbeziehungen geleistet. Früher waren es Rollenvorstellungen und Standesvorschriften, die das Leben größtenteils bestimmten.
Heute sind es die eigenen Wünsche und Vorstellungen, die mit denen des Partners oder der Partnerin abgeglichen werden müssen.
Der Partner oder die Partnerin wird zum wichtigsten Bezugspunkt für die eigene Selbstverwirklichung. Von ihm erfahren wir die unmittelbarsten Reaktionen auf unser „Sosein“.
Ein Partner bietet Orientierung bei unserer Identitätskonstruktion, indem er einerseits seine eigenen Wünschen und Vorstellungen einbringt und damit unsere Möglichkeiten einschränkt.Er oder sie kann aber auch Raum geben und uns darin unterstützen, die Seiten an uns auszuleben und zu verwirklichen, die uns wichtig sind. Probleme entstehen dann, wenn einer der Partner sich zu sehr vom Urteil des Anderen abhängig macht und seine eigene Sichtweise und eigene Bedürfnisse unterordnet
Anerkennung durch den Partner
Der Partner ist auch sehr wichtig als eine Quelle der Bestätigung und Anerkennung. Häufig fühlen sich Menschen heute durch die gesellschaftlichen Anforderungen und dem hohen Leistungsdruck überfordert. Verbunden mit eigenen hohen Ansprüchen entstehen nicht selten Selbstzweifel und Gefühle von Unzulänglichkeit.
Der Partner ist häufig diejenige Person, durch deren Zuneigung und Anerkennung die eigene Verunsicherung ausgeglichen werden soll.
Anerkennung zu erfahren, heißt dabei, dass wir uns von unserem Gegenüber in der Ganzheit unserer Person gesehen und bestätigt fühlen, dass dieser jemand Interesse für unsere verschiedensten Facetten zeigt.
Damit verbunden ist oft die Erwartung, im Partner jemanden zu gefunden zu haben, der auch unsere Schwächen akzeptiert und aushält.
Diese „Schwächen“ sind häufig ungeliebte Seiten an uns, die wir anderen Menschen so gut wie nie zeigen. Werden diese Seiten vom Partner akzeptiert, wird es für uns selbst auch einfacher sie anzunehmen und in unser Selbstbild zu integrieren.
Wenn Anerkennung fehlt.
Diese Bedürfnisse nach Anerkennung und Bestätigung können vor allem in Krisenzeiten zu einer Überbelastung der Paarbeziehung führen.
Denn der Partner braucht selbst ausreichend Kraft, Stabilität und Selbstvertrauen, um dem anderen die Aufmerksamkeit, Empathie und das Interesse entgegen zu bringen, die dieser vielleicht benötigt und erwartet. Es gibt viele Faktoren, die es einem oder beiden Partnern unmöglich machen können, die Energie dafür aufzubringen. Dazu gehören Unzufriedenheit oder Erfolglosigkeit im Job, Arbeitslosigkeit, finanzielle Schwierigkeiten, aufreibende Verhältnisse zur Herkunftsfamilie oder gar Krankheit. Hinzu kommt häufig ein Mangel an Ressourcen wie Zeit, ausgleichende Kontakte zu Freunden oder ein unterstützendes familiäres Umfeld.
Wenn solche belastenden Faktoren über einen langen Zeitraum Einfluss auf das Zusammenleben haben und es fehlen hilfreiche Ressourcen, kann die Beziehungsqualität sehr darunter leiden. Auf beiden Seiten kann das Gefühl entstehen, vom Partner vernachlässigt zu werden. Folge der Überforderung sind dann gegenseitige Anschuldigungen und Kränkungen, die wiederum von beiden als ungerecht erlebt werden.
Im schlimmsten Fall schaukelt sich der Konflikt hoch, bis schließlich beide am Ende ihrer Kräfte sind und sich feindselig gegenüberstehen. Um solche Eskalationen zu verhindern, kann es hilfreich sein, diese äußeren belastenden Faktoren zu erkennen und zu benennen.
Wird erst deutlich, dass beide Partner durch die äußere Situation überfordert sind, können die gemeinsamen Schwierigkeiten in der Beziehung in einem anderen Licht betrachtet werden und die Bemühungen des Einzelnen, mit der Situation zurechtzukommen, besser gewürdigt werden.
Dann können auch die äußeren Belastungen in Zusammenarbeit beider Partner besser bewältigt werden
Der Partner als Spielverderber?
Probleme entstehen häufig dann, wenn in einer Partnerschaft eigene Identitätsvorstellungen nicht umgesetzt bzw. beibehalten werden können.
In einer Partnerschaft möchte man in seinen innersten Möglichkeiten verstanden und unterstützt werden. Selten kann man sich aber in allen Aspekten seiner Persönlichkeit voll ausleben und entfalten, da nie alle Aspekte, die einem selbst wichtig sind durch den Partner beantwortet werden.
Jeder kommt mit seinem Lebensentwurf und den eigenen Vorstellungen in eine Beziehung und es ist die gemeinsame Aufgabe der Partner Kompromisse zu finden.
Der Aufbau einer gemeinsamen Welt mit dem Partner kann daher in Konkurrenz zur eigenen Selbstverwirklichung und beruflichen Karriere geraten. Zum Beispiel müssen vielleicht lang gepflegte Hobbys oder ein gewohnter Lebensstil aufgegeben werden, wenn ein Paar beschließt, Kinder zu bekommen. Manchmal machen wir dann unseren Partner dafür verantwortlich, dass wir unsere – meist idealen und überhöhten – Identitätsvorstellungen nicht ausleben können.
Der Partner bzw. die Partnerin wird dann zum Sündenbock für nicht gelebte Möglichkeiten.
Häufig sehen wir dann nur das, was wir aufgeben und nicht erreichen und nicht das was wir durch unseren Partner hinzu gewinnen und was wir miteinander teilen. Machen wir unseren Partner für verpasste Chancen verantwortlich, vergessen wir, dass die aktive Entscheidung für etwas immer auch eine Entscheidung gegen etwas anderes beinhaltet. Zum Aufbau einer gemeinsamen Welt gehört auch immer der Verzicht – ohne aber sich dabei selbst aufzugeben
Das Gewicht verlagern
Wenn die Erfüllung der Bedürfnisse nach Orientierung, Anerkennung und Selbstverwirklichung allein in der Partnerschaft gesucht wird, kann es schnell zur Überlastung der Beziehung kommen. Der enorme Erwartungsdruck schafft Konfliktpotenzial und kann die Liebe zwischen den Partnern ersticken. Wir sollten uns dessen bewusst sein und unsere Partnerschaft vor der Überfrachtung durch zu hohe Ansprüche schützen. In diesem Sinne ist es wichtig, dass wir nicht voneinander erwarten, dass wir alles miteinander teilen. Es kann sehr entlastend für die Beziehung sein, wenn jeder Raum hat, seinen eigenen Interessen nachzugehen und Hobbys und Freundschaften zu pflegen.
Wir sind in unserer Beziehung freier, wenn es in unserem Leben auch andere unterstützende und identitätsstiftende Menschen gibt.
Mit guten Freunden können wir vielleicht ganz andere Seiten teilen, die in der Partnerschaft nicht so sehr zur Geltung kommen. Dennoch sollte natürlich die spezielle Qualität der Paarbeziehung durch äußere Kontakte nicht infrage gestellt werden, indem der Partner zum Beispiel bei wichtigen Entscheidungen oder bei der Bewältigung wichtiger Themen übergangen wird.
Es gilt, ein gutes und für beide stimmiges Gleichgewicht zwischen den eigenen Freiräumen und der Bezogenheit zum Partner anzustreben.