Selbstwert und Selbstachtung
Der Selbstwert bezeichnet die Gefühle und Vorstellungen, die wir uns selbst gegenüber haben.
Mit Selbstachtung bezeichnen wir die Haltung, mit der wir zu uns selbst stehen.
Von unserem Selbstwert hängt es ab, ob wir uns als wertvoll erleben und uns selbst wohlwollend, wertschätzend begegnen oder ob wir uns eher für wertlos halten, uns abwerten, hart und selbstkritisch mit uns selbst umgehen.
Unser Selbstwert ist aber nicht nur entscheidend für den Umgang mit uns selbst, sondern auch für den Umgang mit anderen.
Viele persönliche und zwischenmenschliche Probleme stehen letztlich in Zusammenhang mit einem geringen Selbstwert und einer geringen Selbstachtung.
Ein gesunder Selbstwert ist hingegen das Fundament für erfüllte zwischenmenschliche Beziehungen und Kontakte, für die eigene Lebensfreude und Kreativität, vor allem aber auch für die Fähigkeit zur Bewältigung von Krisen und Belastungen.
Ein geringer Selbstwert kann sich bei Menschen sehr unterschiedlich ausdrücken. Personen mit geringem Selbstwert sind häufig sehr verletzbar und reagieren empfindlich auf reale oder wahrgenommene Kränkungen und Kritik. Manche Menschen versuchen, ihre vermeintlichen Schwächen in irgendeiner Weise zu überspielen. Entweder sie wirken nach außen unnahbar und arrogant oder sie sind sehr gesellig, stellen sich mit allen gut und kommen mit jedem gut aus. In beiden Fällen fühlen sich unter Umständen dennoch einsam und leer, weil sie weder mit sich noch mit anderen richtig in Kontakt sind. Andere versuchen immer alles richtig und es allen recht zu machen, immer möglichst liebenswürdig und zurückhaltend zu sein. Diese Selbstaufopferung kann soweit gehen, dass sie zur vollkommenen körperlichen oder psychischen Erschöpfung führt. Die Bedürfnisse anderer werden dann für wichtiger erachtet als die eigenen. Wiederum andere verhalten sich unsicher und schüchtern und ziehen sich eher zurück, weil sie sich nicht für liebenswert halten oder sich anderen nicht zumuten wollen.
Wie entsteht ein dauerhaft gemindertes Selbstwertgefühl?
Nach einer neuropsychologischen Theorie von Klaus Grawe gehören der Schutz und die Erhöhung des eigenen Selbstwerts zu den Grundbedürfnissen des Menschen.
Dennoch gibt es Menschen, die von Grund auf negativ über sich denken und sich als wertlos erleben. Es kann unterschiedliche Umstände geben, die einen Menschen dazu veranlassen, ein dauerhaft negatives Bild von sich zu entwickeln. Häufig hängt eine andauernde Selbstabwertung mit frühen negativen Erfahrungen mit den nächsten Bezugspersonen zusammen. Auch die Erfahrung traumatischer Ereignisse, bei denen Gefühle von extremer Ohnmacht und Hilflosigkeit erlebt werden, kann das Selbstwertgefühl dauerhaft beeinträchtigen.
Diese Erfahrungen werden zu einem inneren Bild, das unsere Wahrnehmung sowohl von unseren Fähigkeiten und Eigenschaften wie auch von der Reaktion anderer auf uns beeinflusst. Das menschliche Gehirn neigt dazu, Informationen in einer Weise zu verarbeiten, dass einmal entstandene Vorstellungen von der Welt und von uns selbst ständig bestätigt werden. Daher entsteht bei Menschen mit geringem Selbstwert ein Teufelskreis aus negativ gefärbter Selbstbeobachtung und Selbstabwertung. Die Erwartung, dass man erfolglos, nicht liebenswert oder nicht kompetent ist, wird zum einen dadurch bestätigt, dass eigene Fähigkeiten, Erfolge und positive Rückmeldungen von anderen kaum wahrgenommen oder heruntergespielt werden. Menschen mit geringem Selbstwert konzentrieren sich eher auf das was sie nicht können, auf ihre Fehler und Schwächen. Zum anderen führen sie selbst unbewusst Bedingungen herbei, die ein negatives Selbstbild aufrechterhalten, indem sie sich z.B. mehr abverlangen, als sie leisten können oder Interaktionspartner wählen, die ihr geringes Selbstbild bestätigen.
Hilfreiche Ansätze
Wie schon erwähnt, beschreibt Klaus Grawe in seiner neuropsychologische Theorie das Grundbedürfnis des Menschen nach Schutz und Erhöhung des eigenen Selbstwerts.
Wird dieses Grundbedürfnis nicht erfüllt, so hat dies negative Konsequenzen auf vielen Ebenen.
In dem Fall wird eine wesentliche Aufgabe in der Lebensführung eines Menschen darin bestehen, (wieder) zu einem wohlwollenden nicht bewertenden Umgang mit sich selbst zu finden.
Wenn wir uns selbst achten, ist vieles einfacher: Ich kann eigene Fehler wahrnehmen und korrigieren, denn ich vertraue auf meinen Wert. Wer sich aus einer inneren Not perfekt, unangreifbar, überheblich zeigen muss, hält die eigenen Schwächen nicht aus und versucht sie zu überspielen. Wenn ich aber zu mir selbst stehe, kann ich auch mit meinen Unsicherheiten leben und mit diesen wohlwollend umgehen: Unsicherheiten gehören zum Menschen.
Insgesamt ist es wichtig, (wieder) Zugang zu einem positiven Erleben des Selbst zu finden. Dafür ist es notwendig, dass neue oder vergessene Wege des Denkens beschritten werden, die uns helfen aus den starren inneren Bildern auszubrechen. Wir müssen unbedingt lernen, den positiven Aspekten unseres Erlebens wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Für viele Menschen ist dies gar keine so einfache Aufgabe, aber wie bei allem kann man auch hier im Kleinen anfangen.
Folgende Fragen können Sie dazu anregen, wieder achtsamer für positive Erlebnisse zu werden:
- In welchen Lebensbereichen/Rollen fühle ich mich fähig und kompetent? Wo kann ich Erfolge verbuchen?
- Was gebe ich anderen Menschen? Welchen Menschen bin ich wichtig?
- Welche Eigenschaften haben mir bisher im Leben geholfen, um schwierige Situationen zu meistern, wichtige Veränderungen einzuleiten, neue Menschen kennenzulernen etc.?
- Wann hat es in meinem Leben Zeiten gegeben, in denen es mir besser gelang meine positiven Eigenschaften wertzuschätzen? Wie habe ich es damals geschafft, meine guten Seiten und Stärken mehr zu beachten?
Folgende Fragen können Sie eventuell dazu anregen, selber aktiv dazu beizutragen, wieder mehr Positives zu erleben:
- Wann stelle ich eigene Bedürfnisse zurück und welche Bedürfnisse übergehe ich? Was brauche ich um mich wieder wohl mit mir zu fühlen?
- Welche Menschen tun mir gut? Wo kann ich Menschen kennenlernen, die meine Werte, meine Interessen teilen?
- Was mag ich gern, welche Aktivitäten tun mir gut? Was kann ich zum Ausgleich tun, wenn meine Arbeit mich nicht erfüllt oder mich sehr belastet?
- In welchen Bereichen könnte es mir gut tun, mit niedrigeren Ansprüchen an mich selbst zu experimentieren?
Haben Sie Ihre persönlichen Antworten auf diese anregenden Fragen gefunden, dann gibt es nur eins:
umsetzen und tun, immer wieder tun.
Das menschliche Gehirn kann neue Erfahrungen, auch neue Überzeugungen, nur dann effektiv speichern, wenn wir diese immer wieder wiederholen.
Wann ist professionelle Hilfe ratsam?
Manchmal kann unser Selbstwert so tief verletzt sein, dass es uns kaum noch möglich ist, wertvolle Seiten an uns zu entdecken und zu erkennen, dass andere Menschen uns lieben und brauchen.
Ist der Selbstwert auf Dauer vermindert, reagieren Menschen mit Rückzug, Resignation, in manchen Fällen auch mit selbstschädigendem Verhalten und Suizidgedanken. Andere bauen eine Mauer aus Misstrauen auf und verschließen sich vollkommen für andere. Sie erleben Gefühle von Einsamkeit und innerer Leere, Schuldgefühle oder auch häufige Gereiztheit und Zorn. Hinzu kann auch die Angst kommen, dass die eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten von anderen entdeckt werden und man von ihnen verachtet und verstoßen zu werden könnte.
Sind Selbstwertprobleme so tiefgreifend, kann es für die Betroffenen fast unmöglich erscheinen, sich aus eigener Kraft aus dem Teufelskreis zu befreien. Häufig stehen solche Probleme in Zusammenhang mit Depressionen, chronischen Partnerschaftsproblemen, Aggressivität, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit und sozialer Ängstlichkeit.
Dann kann es ratsam sein, die professionelle Hilfe eines Therapeuten in Anspruch zu nehmen.
In einer Psychotherapie kann eine Person in einem geschützten Rahmen neue Erfahrungen mit sich selbst machen, neue Bilder von sich entwickeln und einen besseren Umgang mit sich selbst finden.
Ein erster Schritt kann darin bestehen, bei den Mitarbeitern von SOS-Detrésse anzurufen und im Gespräch die Erfahrung zu machen, mit all seinen Stärken und Schwächen, Nöten und Problemen angenommen und wertgeschätzt zu werden.
Hilfreiche Literatur
Grawe, Klaus. 2004. Neuropsychotherapie. Hogrefe: Göttingen.
Kast, Verena. 2005. Trotz allem Ich. Gefühle des Selbstwerts und die Erfahrung von Identität. Freiburg: Herder.
Potreck-Rose, Friederike; Jacob, Gitta. 2007. Selbstzuwendung Selbstakzeptanz Selbstvertrauen. Psychotherapeutische Interventionen zum Aufbau von Selbstwertgefühl. Stuttgart: Klett-Cotta.
Rogers, Carl R.1982. Entwicklung der Persönlichkeit. Psychotherapie aus Sicht eines Therapeuten. Stuttgart: Klett-Cotta
Sachse, Rainer. 2010. Wie ruiniere ich mein Leben – und zwar Systematisch. Stuttgart: Klett-Cotta.
Fennell, Melanie J.V. 2005. Anleitung zur Selbstachtung. Lernen, sich selbst der beste Freund zu sein. Bern: Hans Huber.
Hüther, Gerald. 2009. Die Macht der inneren Bilder. Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.