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Resilienz oder Was meine Krisenkompetenz ausmacht

„Fall down seven times, stand up eight.“

Japanisches Sprichwort

„My strength did not come from lifting weights.
My strength came from lifting myself up when I was knocked down.“

Bob Moore

 „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“

Vaclav Havel

Krisenzeiten sind schwierig auszuhalten, anstrengend und kräftezehrend. Krisen treffen uns oft ganz unerwartet und dramatisch. Sie erinnern uns an etwas, was früher schon einmal schmerzhaft war und schlagen neue Wunden. Der Verlust des Arbeitsplatzes, eine unheilbare Krankheit, ein Todesfall. Kinder, die aus dem Haus gehen und ein Loch hinterlassen, eine Trennung, alleinerziehender Elternteil sein, der Partner in der Midlife-Krise, der Umbruch vom Berufsleben in die Rente. Migration, Kriegserlebnisse und Vertreibung aus dem eigenen Heimatland, Unfälle und Naturkatastrophen, körperliche und/oder seelische Gewalt erleben, all das kann Sie bis weit über das Erträgliche hinaus fordern. Und oftmals kommt ein Unglück selten allein. Das Leben stellt Aufgaben und Herausforderungen an uns, an Sie, die gelöst werden wollen.

Vielleicht haben auch Sie sich nach einer überstandenen Krise schon einmal gefragt, wie es Ihnen gelungen ist, wieder aus einer Krisensituation herauszukommen. Oder was Sie dazu angetrieben hat, nach Lösungen zu suchen. Vielleicht sind Sie auch erstaunt über sich und fragen sich, was es genau war, das Sie nach dieser schwierigen Situation nach vorne schauen ließ.

Resilienz nennt man den konstruktiven Umgang mit belastenden Ereignissen, Lebenssituationen und Schicksalsschlägen.

Im folgenden Text möchten wir Ihnen hilfreiche Anregungen geben, Krisen besser zu bewältigen und den Blick auf die resilienten Fähigkeiten lenken, die vielleicht schon in Ihnen stecken oder die Sie vielleicht bei genauem Hinschauen entdecken können.

 

Was bedeutet der Begriff Resilienz eigentlich?

Forscher nennen Resilienz die innere Widerstandskraft, die manchen Menschen hilft, mit schweren Belastungen fertig zu werden und nicht dabei zu zerbrechen. Diese Stärke kann, sollte sie nicht bereits fest verankert sein, in allen Lebensphasen erworben werden[1]. Sie beschreibt eine Robustheit, die dabei hilft, die Auf und Ab’s des Lebens zu meistern und sogar daran zu wachsen.

Resilienz bedeutet mehr als ein Stehaufmännchen-Effekt: es heißt, sich selbst steuern und sich nicht den äußeren Umständen ausgeliefert fühlen.

Resilienz setzt sich aus unterschiedlichen Faktoren zusammen, unter anderem aus Optimismus, Akzeptanz, Eigenverantwortung, Lösungsorientierung und Zukunftsorientierung sowie der Fähigkeit, sich Beziehungen aufzubauen, die in schwierigen Lebenssituationen Halt geben [2].

Resilienz zeichnet sich auch dadurch aus, wie stressresistent ein Mensch ist, wie er sich regeneriert und dann auch in der Lage ist, die Brüche, die es immer wieder in der eigenen Lebensgeschichte gibt, zu verarbeiten und erfolgreich zu integrieren.

 

Resilienz als Immunsystem der Seele

Ähnlich wie das körperliche Immunsystem können Sie auch Ihr seelisches Immunsystem gleich Ihre Resilienz stärken. Aus vorherigen Krisen verfügen Sie vielleicht bereits über eine gewisse Widerstandskraft und Erfahrungen, wie Sie mit Stress umgehen, wie Sie belastende Erfahrungen „verdauen“ oder erfolgreich integrieren.

All diese Erfahrungswerte könnten Ihnen nützen, wenn Ihr Körper signalisiert, dass etwas nicht stimmt:  oder ist es der Kopf, in dem gerade immer dieselben Gedanken kreisen und sie schlaflos wachliegen lässt. Ist es der Magen, der rumort, wenn Sie an eine bestimmte Situation denken oder das Herz, das rast, wenn Sie in Zeitdruck geraten oder beruflich stark gefordert sind. Dann könnte Ihr Körper Resonanzboden Ihrer Seele sein, der Ihnen sagt, genauer da hinzuschauen, wo es gerade hakt.

Je bewusster und achtsamer Sie sich selbst beobachten und (Warn)-signale frühzeitig erkennen, desto besser können Sie Ihre bisher erworbenen Resilienz-Kräfte einsetzen bzw. noch erweitern oder sogar ausbauen. Ähnlich dem körperlichen Immunsystem, bauen Sie Ihre Stärke auf, die es Ihnen ermöglicht, besser mit Krisen umzugehen.

Vielleicht erinnern Sie sich an Ihre letzte Krisensituation, in der Sie sich wie in einem Jammertal gefühlt haben und dann aber Licht am Horizont gesehen haben: vielleicht, weil Sie akzeptiert haben, dass das was ist, unausweichlich ist. Nach einer Zeit des Kreisens um das Problem haben Sie sich Ihrer Stärken besinnt und haben nach vorne geschaut.

Kennen Sie die Geschichte mit den beiden Fröschen, die in einen Eimer mit Sahne fallen?

Einer war hoffnungslos. Er hörte deshalb schon nach kurzer Zeit auf zu strampeln und ertrank. Der andere Frosch gab nicht auf. Er strampelte und strampelte, bis die Sahne zu Butter geworden war. Danach konnte er aus dem Eimer klettern.

Vielleicht haben Sie eine Idee bekommen, wie Ihr aus dem „Eimer klettern“ aussehen könnte? Vielleicht gehören Sie ja bereits zu denjenigen, die nicht aufgeben und wissen, was Sie brauchen? Vielleicht gehören Sie zu denen, die sich gerade bewusst werden, welche Resilienz-Kraft bislang unbeachtet in Ihnen geschlummert hat?

 

Der Wendepunkt zwischen den Welten: das Alte hinter mir, das Neue noch vor mir

Vielleicht kennen Sie ja dieses Gefühl von Ungewissheit, Unsicherheit oder ruhelosem Hin und Her. Oder ein Tosen im Kopf, einen trockenen Mund, Grummeln im Bauch wie vor dem Aufbruch in ein unbekanntes Land oder wie Schwindel, der Sie vielleicht überfällt, wenn Sie von einem ungesicherten Bergpfad in die Tiefe schauen. Kennen Sie dieses oder ein ähnliches Gefühl auf der Schwelle von etwas Neuem, bei dem es sich anfühlt, wie wenn es kein Zurück mehr gibt.

Wie kann es Menschen gelingen, aus Krisen, Um-Brüchen, Scheitern und Fehlschlägen, etwas zu machen, was sie wieder lebendiger macht und sie schließlich auch daran wachsen lässt?

Es ist der Lauf der Zeit, dass die heranwachsenden Kinder das elterliche Nest verlassen. Die Mutter, die sich jahrelang an den Bedürfnissen der Kinder ausgerichtet hat, empfindet Leere, als es schließlich soweit ist. Sie trauert und Verlustängste machen sich breit. Doch dann gelingt es ihr, wieder Zugang zu ihren eigenen Bedürfnissen zu finden.

Ein Mann erfährt, dass er unheilbar erkrankt ist. Dies stürzt ihn in eine Krise, er hadert mit sich und seinem Leben, seinen bisher verpassten Chancen. Er verschließt sich vor seiner Familie und Freunden, ist lange Zeit nicht ansprechbar. Nachdem er eine Zeit mit sich selbst verbracht hat, kann er wieder Kontakt zu Menschen aufnehmen, die ihm wichtig sind und ihm gerne ihre Unterstützung und Wärme anbieten. Jetzt kann er sie gut annehmen.

Eine Familie muss aus ihrem Heimatland fliehen. Zum ersten Mal seit langem fühlen sie sich im Land, das sie aufnimmt, wieder sicher. Doch dort ist alles anders: die Sprache, die Kultur, das Essen, das Klima, die kleine Wohnung, die Schule. Es gibt Konflikte in der Familie und das Paar streitet sich oft. Alle haben Heimweh. Die Erwachsenen trauen sich, dies anzusprechen und gemeinsam werden Lösungen gefunden.

In der Krise haben all diese Menschen ihre eigenen Kräfte mobilisiert, trotz ungünstiger Ausgangssituationen, Rahmenbedingungen oder unveränderlicher Tatsachen. Sie haben nicht aufgegeben, sondern sich auf das was in ihnen steckt, zurückbesonnen. Das hat ihnen Vertrauen gegeben, nach vorne zu schauen.

Diese Menschen haben geschaut, was sie selbst in dieser Situation anpacken können, um wieder zu dem zu kommen, was ihnen persönlich guttut. Das hieß jedoch zunächst einmal Ballast abzuwerfen und etwas hinter sich zu lassen, was vielleicht auch unangenehm oder schmerzlich war.

  

Resilienz heißt auch Wachstumsschmerzen auszuhalten

Dieser Zustand kann sich kurzzeitig wie heftige, bis ins Mark gehende Wachstumsschmerzen anfühlen, die man am liebsten gar nicht hätte oder so schnell wie möglich wieder loswerden würde. Resilienz beinhaltet also auch die Fähigkeit zu akzeptieren, dass es so ist, wie es ist. Und das gerade im schmerzhaften Prozess des Wachsens, in dem der Zugewinn der Resilienz-Kraft liegt. Und wie ein Baum, der Jahr für Jahr grösser und der Stamm um einen Jahresring reicher wird, gilt das auch für die Resilienz. Mit jedem Wachsen und den damit verbundenen Schmerzen, kommt auch immer ein bisschen mehr Weisheit und Stärke hinzu.

Die Frau bzw. Mutter, die ihre Kinder loslassen musste; der Mann, der sein Leben zukünftig mit der Krankheit leben muss und die Familie, die einen neuen Anfang wagt: Allen ist bewusst geworden, dass sie durch dieses Nadelöhr hindurchmüssen, um weiterzukommen.

Dies kann unangenehm sein und auch Sie in Ihrer persönlichen Krise bis an Ihre Belastungsgrenze führen. Vielleicht kann es Ihnen helfen darüber nachzudenken, was Ihnen schon einmal geholfen hat, den Schmerz zu lindern, als Sie in einer ähnlichen Situation waren.

 

Ängste und Trauer als Verbündete

In diesem Prozess ist es nur allzu normal, Angst zu haben: Angst vor dem „leeren Nest“, wenn die Kinder aus dem Haus gehen, Angst vor Schmerzen oder Tod, Angst auf der Flucht, Angst vor dem, was ist, wenn sie neu ankommen. Diese Ängste sind ganz individuell und zeigen sich für jeden in ganz anderem Gewand.

Ähnlich wie die Angst kann sich auch Trauer einstellen: im Loslassen der flügge gewordenen Kinder, in der Trauer, durch eine Krankheit nicht mehr wie früher im Leben stehen zu können, oder dem Verlust der Heimat und Familie.

Wenn Sie mit Mitgefühl für sich selbst auf diese Empfindungen schauen können, birgt dies die Chance, lang angestaute Verletzungen endlich zu versorgen, ja vielleicht auch zu heilen. Trauer und angst werden dann zu Ihren hilfreichen Begleitern im fürsorglichen Umgang mit sich selbst. Angst und Trauer scheinen weniger bedrohlich und schmerzlich.

Vielleicht finden Sie sich in einem der nachfolgenden Beispiele wieder oder Sie haben ihre ganz individuellen Erfahrungen damit gemacht.

Die Mutter, die auch Frau ist und der bewusst wird, dass sie dies schon lange nicht mehr gelebt hat. Der kranke Mann, der bisher seine Familie zusammengehalten hat und es sich erlaubt, nach Unterstützung zu fragen. Die Familie, die lange Monate in Unsicherheit und (Todes-)Angst gelebt hat und sich jetzt in Sicherheit wähnen darf. Sie können sich in der neuen Kultur einleben bzw. offen für einen Neubeginn sein.

 

Qualitäten und Ressourcen

Neben Angst und Trauer als Verbündete gibt es als Gegengewicht Ressourcen und Qualitäten. Diese zeichnen Sie persönlich aus. Manche gilt es neu zu entdecken oder wiederzufinden.

So wie die Mutter, die lange auf ihr Hobby Tanzen verzichtet hat und sich jetzt wieder in einen Abendkurs einschreibt. Freude und Energie kommen zurück, wie auch der Spaß mit anderen Menschen in Kontakt zu sein. Über diesen Kontakt findet sie Zugang zu ihrer neuen Arbeitsstelle als Nachhilfelehrerin.

Nach einer langen Phase des abschiedlichen Trauerns findet der Mann Kraft in der Natur. Es tut ihm gut, viel alleine unterwegs zu sein. In einem benachbarten Naturschutzzentrum hilft er ab und zu aus. Er kann die ihm angebotene Unterstützung annehmen. Seine Familie und Freunden erleben ihn nun viel offener und lebendiger.

Stück für Stück geht es der Familie an ihrem Zufluchtsort besser. Auch wenn sie wissen, dass noch einige Hürden zu überwinden sind, bis sie sich eingelebt haben, schauen Sie mit Zuversicht nach vorne. Sie können in die Zukunft denken und in dem neuen Land ankommen, jeder auf seine Weise.

Wie die Beispiele zeigen, können Ressourcen sehr unterschiedlich sein. Das gilt auch für das, was Sie als Ihre Resilienz-Kraft bezeichnen. Es lohnt sich, bewusst danach Ausschau zu halten, was Sie in diesen Situationen stärkt. Genauso ist es hilfreich, den Blick auf Ihre persönlichen Erfolge zu richten und was Sie selbst dazu beigetragen haben.

Viel Eigen-Arbeit steckt also in der Erkundung der eigenen Gefühle. Das Graben nach Ressourcen ist vergleichbar mit dem Finden eines Rohdiamanten. Dieser braucht dann auch mehrere Arbeitsgänge mit Schleifen und Polieren bis er in seiner ganzen Schönheit erstrahlt. Wird dieser Glanz nach und nach sichtbar, wird dies auch Ihre Umgebung merken. Vielleicht stellen Sie auch selbst fest, dass Sie anders auf ihre Umgebung wirken bzw. können auch wieder anders auf Menschen zugehen.

 

Ein Netz spannen, bevor Sie sich fallen lassen

Resilienz bedeutet auch in der Krisenzeit ein sicher gespanntes Netz zu haben: vertraute Personen in der Familie oder unter Freunden/Kollegen. Dazu gehören auch andere Menschen, die für Ihre Fragestellung wichtig sein können: sei es eine beruflich orientierte Gruppe, die das gleiche Ziel verfolgt, eine Selbsthilfegruppe, eine Beratungsstelle, ein(e) Therapeut(in).

Und je stabiler Ihr Netz ist, desto besser hält es in einer Zeit, in der Sie darauf zurückgreifen. Dann können Sie sich auch fallen lassen. Freundschaften bestehen aus einem „Geben und Nehmen“. Es gibt eine Zeit, in der Sie geben können, genauso wie es eine Zeit gibt, in der Sie etwas bekommen. Es steht Ihnen zu, dies anzunehmen. Genauso wie Sie sich in dieser Situation anderen so wie Sie sind, zumuten können.

Es könnte auch sein, dass Ihnen bewusst wird, dass Sie sich in diesen Momenten mit verschiedenen Menschen nicht so wohl fühlen. Dann ist es auch in Ordnung, wenn Sie sich schützen oder sich vorübergehend zurückziehen. Überlegen Sie sich, wer Ihnen guttut und was Ihnen Energie gibt.

 

Es geht weiter – der erste Schritt!

Mit dem Bewusstwerden Ihres neugewonnenen Potentials gehen Sie auch weiter aus der Krise ins Leben zurück, in Ihrem Tempo, mit Ihren Fähigkeiten. Vielleicht fühlt es sich so an, wie nach einem Saunagang: erfrischt, müde und gleichzeitig tief entspannt. Vielleicht würden Sie sich auch gerne zuerst einmal hinlegen und ausruhen. Gleichzeitig ist vielleicht jetzt gerade der richtige Moment, den ersten Schritt zu tun. Sie werden wieder aktiver und Sie gehen mental gestärkt aus der Krise hervor.

Resilienz funktioniert nach dem Prinzip der langsamen, kleinen Schritte. Sie verfügen über Ihre ganz persönlichen Resilienz-Kräfte. Gleichzeitig braucht es auch Geduld mit sich selbst, um Resilienz aufzubauen. Je achtsamer Sie mit sich umgehen, desto mehr werden Sie auch die kleinen, feinen Veränderungen bei sich bemerken. Es ist ein Prozess, den Sie persönlich gehen, ohne Hast und ohne Vergleich mit anderen. Die Erfolge, die Sie selbst am besten wahrnehmen, dürfen Sie ruhig auch feiern. Die positive Lebenskraft, die Sie nun spüren, darf von innen nach außen strahlen.

Vielleicht hilft Ihnen das, auch die nächste Krise bewusster wahrzunehmen und noch achtsamer anzugehen.

 

Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.

Samuel Beckett

 

[1] aus: Jedes Ich ist viele Teile – Die inneren Selbst-Anteile als Ressourcen nutzen, Jochen Peichl

[2] aus: Gesellschaft für Resilienz

 

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